
Snap 1991: Turbo B (Durron Maurice Butler) und Thea Austin in Belgien Foto: Getty Images. gie Knaeps. All rights reserved.
Eurodance-Hits: Früher noch Kirmestechno genannt, heute essentiell für die perfekte 90er-Nostalgie-Fete.
Lust auf einen kleinen Nostalgie-Trip? In der dritten Folge des 90er-Jahre-Podcasts „Never Forget“ von den ME-Redakteuren Fabian Soethof und Stephan Rehm Rozanes dreht sich alles um das Genre, das am häufigsten aus den Boxen überfüllter 90er-Revival-Parties dröhnt: Eurodance. Damals noch Kirmestechno genannt, hat sich Eurodance heute zum Genre mit dem einschlägigsten Wiedererkennungswert des Jahrzehnts gemausert, das Aufbruch und Ekstase so neonbunt vereinte.
Doch von Anfang an: Welche Definitionsmerkmale hat ein Eurodance-Hit überhaupt? Die Anfänge des Genres können auf Ende der 1980er-Jahre datiert werden, als Songs wie „Pump Up The Jam“ (1989) von Technotronic bereits deutliche Verbindungen zu amerikanischem House und Techno aufzeigten, sich jedoch noch stark am HipHop orientierten. Als erste richtig große und quasi offizielle Eurodance-Hymne gilt „Rhythm Is A Dancer“ von Snap! aus dem Jahr 1992; die Mischung aus männlichen Rapeinlagen und souligen Gesangparts einer Sängerin unterlegt von einem technolastigen Beat wurde schnell von weiteren Produzent*innen adaptiert und auf weitere Songs angewandt. Eurodance war geboren.
10 Eurodance-Hits der 90er Jahre, die auf Platz 1 der deutschen Charts gelandet sind:
1. Snap! – „Rhythm Is A Dancer“
Das Produzentenduo Michael Münzing und Luca Anzilotti konnten ihr Glück kaum fassen: Nachdem die beiden Deutschen jahrelang an Musikprojekten mit Clublegende Sven Väth gefeilt hatten, gelang ihnen mit dem Eurodance-Duo Snap! der internationale Durchbruch. Die erste Single „The Power“ verkaufte sich weltweit 20 Millionen Mal, der zweite Hit „Rhythm Is A Dancer“ aus dem Jahr 1992 gilt bis heute als offizieller Startpunkt der Eurodance-Ära und hielt sich allein in Deutschland ganze 35 Wochen auf Platz eins der Charts. Der von Thea Austin und Rapper Turbo B. gesungene Track basiert mit seiner Hauptmelodie auf dem Song „Auto-Man“ der amerikanischen Electro-Gruppe Newcleus aus dem Jahr 1984.
2. Dr. Alban – „It’s My Life“
Als Dr. Alban mit „It’s My Life“ im Jahr 1992 die deutschen Charts sprengte, konnte der schwedisch-nigerianische Rapper und DJ bereits auf einige Erfolge zurückblicken; darunter eine eigene Zahnarztpraxis (ja, Dr. Alban hat tatsächlich einen Doktortitel), sowie eine Million verkaufte Exemplare seines Debütalbums HELLO AFRIKA aus dem Jahr 1990. Doch „It’s My Life“ sollte dies übertreffen – so landete der Track in Schweden, Österreich und Deutschland auf Platz 1 der Charts und verkaufte sich weltweit mehr als 1,6 Millionen Mal. Die halb gesprochenen, halb gerappten Vocals über einen mit Dancehall-Elementen versehenen Technobeat waren bereits seit Studium-Zeiten zu seinem Markenzeichen geworden.
3. Captain Hollywood Project – „More and More“
Auch „More and More“ vom Captain Hollywood Project stammt aus der Feder eines deutschen Produzententeams: Dance-Songwriter Nosie Katzmann, der nur ein Jahr später auch den Megahit „Mr. Vain“ schrieb, nahm sich gemeinsam mit Giora Schein und Oliver Reinecke der Musik an, während die Lyrics von Frontmann Tony Dawson-Harrison verfasst wurden. Im Juli 1992 toppte der Song die deutschen Charts und erreichte bis zum Ende des Jahres Platinum-Status. Fun Fact: Captain Hollywood Project existiert noch immer – Dawson-Harrison und die Sängerin Shirin von Gehlen touren jährlich durch Nordamerika, Russland, Europa, Südamerika und Australien, um ihre größten Hits zu präsentieren.
4. Culture Beat – „Mr. Vain“
Im Jahr 1993 arbeitete Nosie Katzmann gemeinsam mit Steven Levis, Jay Supreme und dem Produzenten Torsten Fenslau in einem kleinen Studio in Darmstadt an einem Song, der ihr Leben verändern sollte: „Mr. Vain“ stieg wie viele vorherige Eurodance-Songs zunächst in den deutschen Charts ein, konnte sich über den Sommer hinweg jedoch in insgesamt zwölf Ländern an der Spitze der Chartlisten platzieren. Der von Tania Evans und Jay Supreme performte Song wurde die meistverkaufte Single Europas im Jahr 1993 und gilt bis heute als Klassiker unter den Eurodance-Tracks der 90er-Jahre.
5. Magic Affair – „Omen III“
Nachdem der deutsche Produzent Mike Staab erste Erfolge mit den Songs „Das Omen – Teil 1“ und „Carma – Omen 2“ seiner eigenen Band Mysterious Art verbuchen konnte, gründete er im Jahr 1993 das Eurodance-Projekt Magic Affair. Die erste Singleauskopplung mit dem cleveren Titel „Omen III“ schaffte es im Jahr 1994 auf Platz 1 der deutschen Charts und brachte Sängerin Franca Morgano und Rapper A.K.-S.W.I.F.T. – den beiden Mitgliedern von Magic Affair – im Jahr 1995 einen Echo in der Kategorie „erfolgreichster Dance Act“ ein. Weitere Hits der Gruppe waren „Give Me All Your Love“ und „Energy Of Light“, die im selben Jahr erschienen.
6. Mo-Do – „Eins, Zwei, Polizei“
Laut Fabio Fritelli, Sänger des Musikprojektes Mo-Do, ist der dadaistische Text des Eurodance-Hits „Eins, Zwei, Polizei“ in direkter Anlehnung an Falcos „Der Kommissar“ und „Da Da Da“ von Trio entstanden. Mit Erfolg: Nachdem die Single im Mai 1994 zunächst in Italien auf Platz 1 der Charts sprang, kamen bald auch Österreich und Deutschland hinzu. Das musikalische Schema – eine einfache gesprochene Textzeile über einen schnellen Technobeat – wurde nicht nur für Mo-Dos eher mäßig erfolgreiche Folgesingle „Super gut“ wiederverwertet; es hat sich in der Technoszene als gern gewähltes musikalisches Element etabliert. Der Hype um „Eins, Zwei, Polizei“ ging leider nicht über die Single hinaus, etliche Comeback-Versuche des italienischen Duos scheiterten. Fritelli starb am 6. Februar 2013.
7. Rednex – „Cotton Eye Joe“
Wenn man über „Cotton Eye Joe“ spricht, kommt man um Superlative nicht herum: Die Country-Eurodance-Hymne der schwedischen Band Rednex erreichte im Jahr 1994 die Spitzenposition der Charts in Deutschland, Österreich, Schweden, Belgien, Neuseeland, den Niederlanden, der Schweiz, Norwegen und Großbritannien. In Deutschland wurde die Single mit Doppelplatin ausgezeichnet und ist damit einer der meistverkauften Songs des Landes aller Zeiten, in Schweden war Rednex die erste Band, die eine Million verkaufte Einheiten erzielen konnte. Sowohl Song als auch Musikvideo hält mit stereotypischen amerikanischen Elementen nicht zurück: Der Refrain von „Cotton Eye Joe“ basiert auf dem amerikanischen Volkslied „Cotton-Eyed Joe“ und sowohl die High-Speed-Banjo-Soli als auch die etlichen Soundeffekte von wiehernden Pferden oder Pistolenschüssen im Hintergrund machen „Cotton Eye Joe“ zu einem der ikonischsten (und absurdesten und nervigsten) Songs der 1990er.
8. La Bouche – „Be My Lover“
Im Jahr 1995 hörte der deutsche Produzent Frank Farian eine Demo-Version von Melanie Thorntons Song „Sweet Dreams“ und beschloss, die aufstrebende Sängerin unter seine Fittiche zu nehmen. Farian hatte bereits Jahre zuvor Welterfolge (und Skandale) mit der Disco-Band Boney M. und dem Duo Milli Vanilli gefeiert, als er aus Thornton und dem Rapper Lane McCray das Dance-Duo La Bouche (deutsch: Der Mund) formte. Der Song „Be My Lover“ aus demselben Jahr entwickelte sich zu dem größten Hit des Duos und erreichte Top-Ten-Chartpositionen in insgesamt vierzehn europäischen Ländern. Im Jahr 2001 verließ Thornton La Bouche, um ihre Solokarriere zu starten und starb tragischerweise kurz darauf bei einem Flugzeugabsturz in Zürich. Ihr Gegenpart McCray führte La Bouche erst einige Jahre lang alleine weiter, seit dem Jahr 2015 begleitet ihn die ungarische Sängerin Sophie Cairo auf Tournee.
9. Aqua – „Barbie Girl“
„I’m a Barbie Girl in a Barbie world / life in plastic, it’s fantastic“ – kaum ein 90er-Track wirkt auf den ersten Blick so banal und trashig wie „Barbie Girl“ von der dänischen Dance-Pop-Gruppe Aqua. Hört man jedoch etwas genauer hin, wird schnell klar: So ganz nichtssagend ist der Text dann doch nicht. Zeilen wie „I’m a blond, bimbo girl, in a fantasy world“ und „You can touch, you can play / If you say, I’m always yours“ zeugen sogar von Gesellschaftskritik und – tatsächlich – Feminismus. Kein Wunder, dass die Barbie-Herstellungsfirma Mattel im Jahr 2000 vor Gericht zog und der dänischen Band vorwarf, aus ihrem unschuldigen Spielzeug ein Sexobjekt gemacht zu haben. Der Prozess wurde eingestellt, der Erfolg des Songs blieb erhalten: „Barbie Girl“ verkaufte sich allein in Großbritannien fast zwei Millionen Mal und erreichte in mehr als zehn Ländern den ersten Platz der Charts.
10. Eiffel 65 – „Blue (Da Ba Dee)“
Ist es Fluch oder Segen, wenn die Debüt-Single einer Band zum Welthit wird? Im Falle der italienischen Musikgruppe Eiffel 65 wohl beides. Sänger Jeffrey Jey, Keyboarder Maurizio Lobina und DJ Gabry Ponte hatten schon einige Jahre gemeinsam Musik gemacht, als „Blue (Da Ba Dee)“ im Jahr 1998 eher zufällig am Studio-Klavier entstand. Ein paar Monate nach der Veröffentlichung nahm ein italienischer Radiosender „Blue (Da Ba Dee)“ in sein Programm auf und von dort aus verbreitete sich der Autotune-Dance-Track wie ein Lauffeuer: In mehr als 15 Ländern stieg der Song auf den ersten Platz der Charts, das ikonische Musikvideo mit den blauen Außerirdischen wurde bis heute insgesamt knapp 220 Millionen Mal angeklickt. Den Ruf als One Hit Wonder konnte „Blue (Da Ba Dee)“ nie ganz abschütteln, obwohl Eiffel 65 bis zum Jahr 2006 noch einige Erfolge verbuchen konnte.